Alles auf „Start“ bei Ihrer Webseite

Es kann sogar durchaus sinnvoll sein, einmal ganz disruptiv zu fragen, ob denn überhaupt die eine Startseite benötigt wird. — Was würde sich ändern, wenn Sie ab morgen keine Startseite mehr hätten, oder ganz viele?
Die folgenden vier Irrtümer sollten Sie dabei allerdings nicht begehen.

Irrtum #1: Was der Betreiber der Website für wichtig genug erachtet, um es auf die Startseite zu bringen, interessiert auch die Besucher der Website.

Die Startseite von Unternehmenswebsites wird immer noch häufig als die Eingangspforte schlechthin betrachtet. Daher wird sie von Marketing und Verkauf besonders ins Visier genommen. Sie soll Aushängeschild sein, schöne Fassade der Firma im Internet und natürlich soll die Startseite das große Spektrum der angebotenen Produkte und Leistungen attraktiv darstellen. Dabei ist es jedoch gar nicht so unwahrscheinlich, dass das, was dem
Unternehmen besonders am Herzen liegt, die Besucher wenig bis gar nicht interessiert. Das zeigt die folgende Infografik über die Informationen auf einer Uni-Homepage sehr anschaulich (nach xkcd).

Wissen Sie, wer aus welchen Gründen auf Ihre Website, insbesondere auf Ihre Startseite kommt? Problem? Kaufabsicht? Kontaktwunsch? Es lohnt sich, die Motivation Ihrer Zielgruppe genau zu kennen, um die richtigen Informationen anbieten zu können. Dazu können Sie einen Blick in die Tracking-Daten der Ihrer Website werfen und das Besucherverhalten betrachten, einen Fachmann hinzuziehen oder einfach mal selbst Ihre Kunden und Interessenten befragen. — Es geht eben nicht um »Ihre« Startseite, sondern um eine für Ihre Zielgruppe.

Irrtum #2: Die Besucher durchstöbern ausgehend von der Startseite die gesamte Website.

Haben Sie sich schon mal komplett durch eine Website geklickt, außer durch Ihre eigene? Ich auch nicht.

Im Internet sind viele Nutzer mit konkreten Fragestellungen unterwegs. Wann hat das Bürgeramt geöffnet? Sind Süßkartoffeln gesund? Welches Smartphone soll ich kaufen? Warum humpelt mein Hund? Wer repariert mein Parkett? Dabei wird nach Angeboten Ausschau gehalten, die zu der jeweiligen Fragestellung in der aktuellen Situation passen. Als relevant wird eingestuft, was die Frage beantwortet bzw. das Problem löst. Das kann Unterhaltung sein, ein Stück Information oder auch ein konkretes Produkt.

If you want to buy an acoustic-electric bass on Amazon, then you want
the Acoustic-Electric Basses homepage, not the Musical Instruments
homepage or the Amazon.com homepage. The homepage shifts with
the territory of the task. (McGovern)

Demnach ist es wichtig zum Entdecken genau jener Informationen einzuladen, die innerhalb des Themenfokus der Besucher liegen: Die Homepage muss zum Anwendungsfall des Besuchers passen! Möglicherweise benötigen Sie am Ende mehrere Startseiten bzw. Einstiegsseiten für Besucher mit unterschiedlichen Interessen — je nachdem wie vielfältig Ihr Angebot ist. Denn: Besucher werden sich in den wenigsten Fällen durch die Navigation der Website klicken und stöbern, wenn sie doch einfacher wieder zurück zu Google gehen können. Dort wartet schon der nächste Treffer und der ist vielleicht genauer. Das bringt uns direkt zum nächsten Irrtum.

Irrtum #3: Besucher betreten eine Website durch den »Haupteingang«.

Selbst Nachrichtenseiten The New York Times und The Atlantic verzeichnen seit Jahren einen starken Rückgang von Besuchern, die direkt auf der Startseite beginnen. Dabei bieten gerade für sie die Startseiten doch die perfekte Analogie zur Titelseite einer Zeitung. Tatsächlich steigt aber nur 1 Drittel der New York Times-Leser auf der Startseite ein, und nur 13 Prozent der Leser von The Atlantic beginnen auf theatlantic.com. Hat die Startseite ausgedient?

As more and more traffic comes from search and social, the homepage as the entryway into a site’s content is increasingly obsolete. (Friedman)

Vereinfacht ausgedrückt: für Nutzer sind zunehmend Google und Facebook die Startseiten! Diese Nutzer steigen direkt in einzelne Unterseiten ein, in Themenseiten oder direkt in einen Artikel. Somit wird jede einzelne Seite zur möglichen Startseite und muss auch in der Lage sein, diese Funktion mit zu erfüllen. Die Funktion der Startseite zu erfüllen bedeutet darum auch hier, die Motivation der Besucher zu berücksichtigen (siehe Irrtum #1) und die Entdeckung von solchen Informationen zu fördern, die den Besucher »auch interessieren könnten« (siehe Irrtum #2). Natürlich müssen Ihre Themen- und Artikel-Seiten dann auch entsprechend in sozialen Netzwerken präsent sowie in Suchmaschinen unter den richtigen Suchbegriffen zu finden sein. — Social Media und Search Engine Marketing sind hier die Stichworte.

Irrtum #4: Besucher müssen auf die Website kommen, um den Inhalt der Website zu konsumieren.

Alexander Erlmeier von Outbrain hat auf dem letzten Content Innovation Day in Berlin interessante Entwicklungen und Trends vorgestellt, die sich in den Website-Analysen abzeichnen. Dass die mobile Internetnutzung steigt und damit die Zahl der Nutzer, die sich Websites auf dem Smartphone ansehen zunimmt (und es längst quasi zur Pflicht geworden ist, Websites für mobile Anwender zu optimieren), ist mittlerweile im Allgemeinwissen angekommen. Interessant ist jedoch, dass diese Entwicklung aber zu einem neuen Phänomen führt: nämlich dazu, dass Inhalte nicht länger nur auf der Plattform des jeweiligen Publishers konsumiert werden.
Im Klartext: Möglicherweise kommen Ihre Interessenten gar nicht zu Ihnen, wenn Sie sich über Ihr Angebot informieren.
Aggregierte und auch kuratierte Inhalte in Web-Services und Apps wie Flipboard, Feedly, Readability, Instapaper und Pocket sind nicht neu. Doch längst warten auch Google und Facebook mit eigenen Maßnahmen auf, um Ihren Website-Inhalt gerade mobil ästhetisch und anwenderfreundlich darzustellen. Die »Mobilisierung« des Internets mit seinen ganz besonderen Anforderungen, wie kurze Ladezeit und schneller Aufbau, optimiert für kleine Bildschirme mit Touch-Bedienung, macht das nötig.
Google Accelerated Mobile Pages und Facebook Instant Articles sind solche Technologien, die besondere Optimierungen für Nutzer mobiler Geräte zum Ziel haben. Die Inhalte liegen nicht länger nur beim Urheber, sondern zusätzlich, in der optimierten Form, auch noch auf den Servern von Google oder Facebook. Vereinfacht heißt das, dass Ihr Besucher gar nicht mehr direkt auf Ihre Website kommen muss; nicht auf Ihre Startseite und auch nicht auf andere eventuelle Einstiegsseiten. — Aber muss denn ein Besucher wirklich auf Ihrer Website sein, damit Sie vom Kontakt mit Ihrem Interessenten profitieren können?
Es lohnt sich abzuwägen, inwiefern sich diese Entwicklungen gewinnbringend nutzen lassen. Schließlich fördern Google und Facebook mit diesen Maßnahmen die »Content Discovery«, also die Entdeckung von Inhalte — auch der Ihren — durch Interessenten. Die neuen Möglichkeiten können grundsätzlich dabei helfen, die Reichweite eines Angebots zu erhöhen und dabei eventuell sogar neue Zielgruppen zu erschließen.

Was heißt das nun für die Zukunft der Startseite?

Die Startseite hat nicht mehr per se die Bedeutung als Trichter für die Inhalte Ihrer Website. Wie Ann Friedmann es ausdrückt, ist sie nicht mehr die Titelseite der Tageszeitung, sondern eher das Magazin-Cover — Werbefläche und Interesse weckender Vorgeschmack auf auf den Inhalt:

And this, really, is the future of the homepage. It’s a brand
billboard, not a way of funneling traffic. It’s gone from
something like a newspaper’s A1 — a glimpse of and portal to
the day’s top content — and become more like a magazine
cover, providing a tease and a hint at the editorial project […].
It’s still valuable. It’s just not as important to the business model
or editorial project. (Friedman)

Sehen Sie die Startseite nicht so sehr als Teil des Geschäftsmodells oder als wichtigste Stelle für den Kundenfang. Langweilen Sie nicht mit Marketing-Blabla und purer Selbstdarstellung. Nerven Sie nicht mit unästhetischer und kaum passender Werbung. Wecken Sie Vertrauen, Interesse und Sympathie für Ihr Angebot. Bieten Sie Informationen an, die für Ihre Zielgruppe in der Situation während des Besuchs auf der Website relevant sind und im jeweiligen Themenfokus liegen. Denken Sie dabei mindestens an Ihre Kontaktdaten, Adressen, Erreichbarkeitszeiten sowie ggf. weitere Präsenzen wie zum Beispiel Social Media-Profile. Dann klappt es auch mit Ihren Interessenten.

Mehr Lesestoff zum Thema:
Benton, Joshua. 2014. The leaked New York Times innovation report is one of the key documents of this media age. NiemanLab.
Friedman, Ann. 2013. Is the homepage dead? Columbia Journalism Review.
Gócza, Zoltán. 2010. UX MYTHS: Myth #17: The homepage is your most important page.
Hölderle, Jona. 2013. Die Non-Profit-Website – 10 Fehler, die wir alle machen.
McGovern, Gerry. 2014. The continued decline of the homepage.
Pleil, Thomas. 2013. Die Website verliert an Bedeutung – es lebe der Artikel.
Spool, Jared. 2005. Is Home Page Design Relevant Anymore? UIE Brain Sparks.