Es wird Nacht sein in Shanghai, wenn heute Abend in Europa zahlreiche Pflegeführungsfrauen digital zusammenkommen, um sich über brennende Fragen der Pflege und des Managements auszutauschen. Genauer: Drei Uhr nachts, so rechnet Xiaobo Jia vor, und so gern die Managerin auch Teil des virtuellen Austauschs gewesen wäre – um diese Zeit wird sie sich dann doch eher der Nachtruhe hingeben.
Xiaobo Jia ist Executive Director bei Steigentec, einem Gesundheitsunternehmen, das sich auf die Wiederverwendung von Pflegebetten und anderen Hilfsmitteln konzentriert. Seit einigen Monaten ist sie Partnerin im TOP Management Network. Und gerade weil sie aufgrund der Zeitverschiebung beim Netzwerktreffen nicht dabei sein kann, haben wir ihr vorab ein paar Fragen gestellt.
Xiaobo Jia, nehmen Sie uns doch bitte für ein paar Minuten mit nach China: Beschreiben Sie uns kurz die Rolle oder Position der Frau, vor allem: der arbeitenden Frau in Ihrem Land.
In China sind die meisten Frauen berufstätig, selbst diese, die Kinder haben. Schon vier Monate nach der Niederkunft gehen fast alle Mütter wieder zurück in ihren Job. Möglich wird dies durch unsere traditionellen kulturellen Strukturen: Viele Großeltern passen bei uns auf ihre Enkel auf, kümmern sich um sie, während die Eltern arbeiten. Das gibt gerade den Frauen natürlich eine gewisse Freiheit, sie können kontinuierlich, also ohne große Unterbrechung, an ihrem Arbeitsplatz bleiben und Karriere machen.
Stichwort Karriere: Wie steht es hier um die Chancen der Frauen?
Das muss man differenziert sehen: Wirklich viel getan hat sich in den letzten Jahren vor allem im mittleren Management. Die Zahl der weiblichen Führungskräfte ist hier enorm gestiegen. Das liegt auch daran, dass die Kompetenzen von Frauen, ihr Wissen und ihre Stärke viel mehr wertgeschätzt wird als noch vor einigen Jahren, dass das gesamte Bildungslevel landesweit und gesellschaftsübergreifend gestiegen ist – und somit auch die Anerkennung der Frau als Teil von Führungsteams.
Während Sie also in unserem Land einerseits schon viele Managerinnen antreffen können, und das in den unterschiedlichsten Branchen, besetzen diese Frauen aber – und jetzt kommt es — nur elf Prozent der Stellen in obersten Ebenen, etwa Direktionsposten. Das ergab 2019 eine Auswertung unter den öffentlichen Unternehmen des Landes. Das mag in klassischen Frauenbereichen wie der Bildung oder Pflege etwas anders aussehen, hier spielen Frauen auch im obersten Management bereits eine wichtige Rolle. Aber grundsätzlich und branchenweit gibt es wirklich nur wenige Frauen, die sich beispielsweise in CEO-Positionen gekämpft haben.
Welche Rolle spielen gerade diese Frauen in der Öffentlichkeit?
Oh, eine große! Zu diesen Frauen schaut man auf, sie sind Idole, sie haben ein mächtiges Image und sogar politischen Einfluss. Ich denke – und hoffe –, da wird es künftig auch hingehen: Die Beteiligung von Frauen im Top-Management in China wird immer mehr zunehmen.
Sie haben sowohl in deutschen als auch chinesischen Firmen im oberen Management gearbeitet, kennen also beide Seiten — und sicher auch Managerinnen in beiden Ländern. Führen Frauen in China anders als in Deutschland?
Mein Eindruck ist, dass mit dem unterschiedlichen Hintergrund des jeweiligen Landes auch der Managementstil ein anderer ist. Chinesische Managerinnen führen vielleicht etwas mehr personenorientiert, während deutsche Führungsfrauen sich mehr an Fakten orientieren. Aber ergebnisorientiert sind natürlich beide.
Sie werden heute Abend beim Netzwerktreffen nicht dabei sein können,
— was ich wirklich bedaure!…
…gibt es etwas, was Sie den Teilnehmerinnen mit auf den Weg geben möchten?
Ich finde es gut und begrüßenswert, dass es mit TOP Management Pflege ein Netzwerk gibt, in dem sich Frauen in Deutschland miteinander kurzschließen, konstruktiv austauschen und gegenseitig helfen können. Es ist wichtig, Teil einer Gruppe zu sein, zu der man sich zugehörig fühlt, gerade als Frau des oberen Managements, deshalb unterstütze ich es nur zu gern. Ich persönlich bin auch deshalb Supporterin geworden, weil ich mir erhoffe, über das Netzwerk über neueste Tendenzen im Pflegesektor informiert zu werden, zu erfahren, was die Pflegemanagerinnen, aber auch den Markt als Ganzes, gerade in Europa, bewegt.
Aber in erster Linie beeindruckt mich tatsächlich der Netzwerkgedanke: sich gegenseitig voranbringen, einander respektieren, voneinander lernen, das ist so wichtig. Denn Lernen hört niemals auf — und endet auch nicht an Landesgrenzen. Gut, diesmal funkt die Zeitverschiebung etwas dazwischen. Aber das nächste Mal, vielleicht dann endlich persönlich, bin ich hoffentlich mit dabei! An alle Teilnehmerinnen: viel Erfolg und einen guten konstruktiven Austausch!
Interview: Romy König